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Von Fettdosen, Armschmuck und vergessenem Unrecht. Tagung des hessischen Verbundnetzwerkes zu kolonialen Kontexten

Abb.: Blick ins Depot der ethnologischen Sammlung mit einer Jaguarmaske der Nahua (Mexiko, 20. Jh.). Abb.: Blick ins Depot der ethnologischen Sammlung mit einer Jaguarmaske der Nahua (Mexiko, 20. Jh.). Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

"Aus der Ferne in die Heimat" - so lautet der Titel der

ersten Tagung des Verbundnetzwerkes hessischer Museen und Sammlungen zum Umgang mit und der Veröffentlichung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Das Museum Wiesbaden hat Podiumsgäste führender deutscher Hochschulen und Kultureinrichtungen dazu eingeladen, die ersten Ergebnisse der gemeinsamen Bemühungen der großen ethnologischen Einrichtungen Hessens im Rahmen der heutigen Fachtagung vorzustellen. Von Missionarsreisen, Sammlernetzwerken bis hin zu Kriegstrophäen oder dem Beutegut kolonialer Jagden - die Fachpanels bieten Raum zur Diskussion neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse. Dabei rückt das Museum Wiesbaden aktuelle Forschungen zum Nachlass Carl Bergers in den Fokus.

In den Magazinen des Museums Wiesbaden lagern mehr als 1,2 Millionen Objekte der Naturhistorischen Sammlungen. Darunter findet sich auch eine ethnologische Sammlung, deren Anfänge bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht und in manchen Fällen Verstrickungen mit dem deutschen Kolonialismus aufzeigt. "Die Aufarbeitung dieses Sammlungsbestands konnten wir 2020 dank der Unterstützung des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst starten", sagt Dr. Andreas Henning, Direktor des Museum Wiesbaden. "Rasch hat sich herausgestellt, dass durch die gemeinsame Forschungsarbeit im Verbundnetzwerk hessischer Museen und Sammlungen zu Umgang und Veröffentlichung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten große Synergien erzielt werden können. Die Tagung untersucht hessische Sammlernetzwerke, durch die Objekte aus kolonialen Kontexten in die hiesigen Museen und Sammlungen gelangt sind."

Exemplarisch für den Sammlungsbestand im Museum Wiesbaden stehen unter anderem eine Fettdose und ein aus drei Muschelschalen bestehender Armschmuck aus Namibia. Sie wurden aus dem Nachlass des ehemaligen Missionars Carl Berger, einem gebürtigen Wiesbadener, vor mehr als 50 Jahren dem Museum vermacht. Durch die Aufarbeitung der Bestände zeigt sich beispielhaft die Brisanz mancher dieser Objekte. Die Erforschung der Hintergründe ergab, dass zu den Aufgaben Bergers der Aufbau der allerersten Missionsstation in Rietmond gehörte. Dies war der Hauptsitz der Gemein-schaften unter Kaptein Hendrik Witbooi. "Der treueste Kirchengänger war der alte Hendrik Witbooi selbst, er fehlte bei keinem Gottesdienst", schildert Berger das Zusammenleben mit seiner Kirchengemeinde. 1904 führte Witbooi den blutigen Aufstand der Nama und Orlam gegen die deutsche Kolonialmacht an und seine Familienbibel aus dem Bestand des Stuttgarter Lindenmuseums wurde vor wenigen Jahren feierlich an den Staat Namibia zurückgegeben. 
Seit 2021 wird die wissenschaftliche Erforschung dieser Objekte und deren komplizierter Wege in Hessen verstärkt betrieben. 

Einen ersten Bericht zu den Ergebnissen gibt die wissenschaftliche Fachtagung am 25. 11. 2022 im Museum Wiesbaden. Federführend hat hier das "Verbundnetzwerk hessischer Museen und Sammlungen zu Umgang mit und Veröffentlichung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten" Forscherinnen und Forscher aus ganz Deutschland eingeladen. Hessens Wissenschafts- und Kunstministerin Angela Dorn betont: "Noch immer wird zu wenig über die Verbrechen gesprochen, die Deutschland als Kolonialmacht begangen hat. Hier setzt das Verbundnetzwerk an und bringt die einzelnen Forschungsvorhaben in Hessen zusammen - denn die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit und der weitere Umgang mit ihr sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Tagung heute geht erstmals konzentriert den Spuren des Kolonialismus in hessischen Sammlungen aus verschiedenen Perspektiven nach und stellt damit eine Übersicht lokaler Wirkungsstätten und handelnder Personen zusammen. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse!"

Hintergrundinformationen: 
Das Verbundnetzwerk hessischer Museen und Sammlungen zum Umgang mit und zur Veröffentlichung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten wurde 2021 auf Bestreben des hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst eingerichtet und wird koordiniert vom Museum Wiesbaden, dem Hessischen Landesmuseum für Kunst und Natur. Das Museum Wiesbaden vertritt gemeinsam mit der Ethnologischen Sammlung der Philipps-Universität Marburg das Land Hessen in der bundesweiten "3-Wege-Strategie für die Erfassung und digitale Veröffentlichung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland". 
https://museum-wiesbaden.de/das-hessische-verbundnetzwerk
https://wissenschaft.hessen.de/Presse/Verbundnetzwerk-will-Sammlungsgut-aus-Kolonialzeiten-aufarbeiten

Quelle: Museum Wiesbaden
Hessisches Landesmuseum
für Kunst und Natur

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