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Jerry Zeniuk Paintings: Not for your living room 31 Jan – 27 Apr 2014

Jerry Zeniuk Altarbild II  2007 Jerry Zeniuk Altarbild II 2007 Jerry Zeniuk


Was ist Malerei? Angesichts der Wandlungen und Verschiebungen im Bereich der bildenden Kunst stellt sich seit den 1960er Jahren denen, die sich noch immer ernsthaft mit dem Auftrag von Farbe auf Leinwand beschäftigen, diese Frage täglich aufs Neue. Ja, diese Frage bestimmt einen wesentlichen Teil der künstlerischen Arbeit im Feld gegenwärtiger Malerei, wenn sie nicht sogar als Kern derselben verstanden werden muss.

Auch Jerry Zeniuk berührt mit seinen Bildern dieses Thema. Er wählt dazu einen ganz eigenen Weg, der Engführung und Ausweitung zugleich bedeutet. Zwar beschränkt er sich in seiner Arbeit auf das Medium der Farbe, und hier auf deren optische, das heißt vor allem farbräumliche Wirkung. In diesem Bereich aber bewahrt er sich die größtmögliche Freiheit, indem er nicht rational  vorbestimmt, welche Farbe wann und wo zum Einsatz kommt, sondern diese Entscheidung bis zuletzt, also bis zum Auftrag derselben auf die Leinwand offen lässt – und manchmal sogar darüber hinaus.

Die Komposition seiner Bilder entsteht erst im Prozess des Malens. Sie bedeutet im wortwörtlichen Sinne Auftrag von Farbe auf Leinwand, entwickelt sich zwangsläufig aus dem Miteinander der einzelnen Farbflächen. Diese Farbflächen sind, zumindest in den gegenwärtigen Bildern maximal reduziert, da auf die annähernd kreisförmige Fläche beschränkt, die entsteht, wenn ein Pinsel die Leinwand berührt. Nun bleibt es aber nicht dabei, dass der Pinsel die Leinwand berührt, sondern jener (oder ein entsprechendes Malmesser) wird entlang der Kreisform geführt, so dass auf dieser begrenzten Fläche ein malerisches Zeichen, eine farbige Setzung entsteht. Erst dann erfolgt der nächste Schritt, der nächste Bereich als wiederum begrenzter Auftrag von Farbe auf Leinwand. Stück für Stück entsteht das Bild. Wie es immer gewesen ist, wenn von Malerei die Rede war. Hier aber geschieht dies ohne vorhergehendes Konzept, ohne Komposition im Kopf des Künstlers, allein aus der Anschauung während des Malens entwickelt. Es gibt keinen Entwurf, es gibt nur die Malerei, die sich – in den gesetzten Grenzen – selbst bedingt.

Die Bilder von Jerry Zeniuk bestehen und entstehen aus dem Zusammenspiel einzelner Farbereignisse, die sich jedes für sich – und doch gegenseitig bedingt – auf der Leinwand ausbreiten. Dabei verbleiben die Farben optisch nicht auf der Fläche, sondern machen im Zusammenspiel eigene Räume auf. Das Bild findet zu einem eigenen Bildraum, der außerhalb der realen Materialität liegt und doch als klar definiert erscheint. Zeniuks Bilder sind keine Vexierspiegel, erzeugen kein Flimmern oder ähnliche optische Sensation. Vielmehr ruhen sie in sich, die einzelnen Farben geben sich Halt, und dies gegenseitig und nicht gegeneinander. Dieses Zusammenspiel könnte auch im musikalischen Sinne verstanden werden, als Zusammenklang, der zwar aus einzelnen Elementen besteht, vor allem aber als Gesamtheit wahrgenommen werden muss.

Die Betonung des Ganzen als Aussage eines Bildes ist tief verwurzelt in Jerry Zeniuks Malerei. In seinen frühen Arbeiten, bis in die 1990er Jahre übertönt dieses Ganze meist die einzelnen Klänge. Zunächst entstehen seit Mitte der 1970er Jahre Bilder in Grau und Braun, unter und in deren Oberflächen zwar alle Farben enthalten sein können, diese aber von den sichtbaren Schichten verdeckt und damit nivelliert werden. So bleibt das Bild dicht an der Oberfläche, allein im Ozean darunter lässt der Künstler die Farben tanzen. Nach oben sichtbar werden sie (noch) nicht. Aber auch diese Flächen zeigen eine sehr sensible und subtile Bearbeitung. Auch hier verzichtet Zeniuk auf die Geste des Malers, auf den emotionalen Pinselstrich zugunsten einer Farbwirkung, die als Ganzes eine Räumlichkeit in und optisch knapp unterhalb der realen Bildoberfläche zu entwerfen vermag. Das in Wachs gelöste Pigment wird Teil der Oberfläche, zugleich geht es jedoch in dieser vollständig auf. Unzählige Farben verbinden sich zu einer opaken Schicht, die nicht mehr durchdrungen oder aufgelöst werden kann.

In den 1980er Jahren zerbricht diese Schicht mehr und mehr, an die Stelle einer geschlossenen Oberfläche tritt ein Muster in Form eines all-over oder Camouflage-Prinzips. Auch hier bewahrt sich Jerry Zeniuk stets das Ganze, den Zusammenhalt des Bildes mittels der verwendeten Farben –  aber auch der zunächst noch regelmäßigen Ordnung auf der Bildfläche. Erst in seiner Malerei der späten 1980er und der 1990er Jahre zeigen sich emanzipierte Farbformen, die in Gestalt und Kolorierung als eigenständige Bildelemente gelten können. Obwohl auch diese Bilder kompositorisch wohl austariert sind, zeigen sie sich nun als gestaltete Flächen, die keinen festen Regeln mehr folgen, sondern sich von Bild zu Bild neu finden müssen. Entscheidend wird nun – und das gilt auch für alle später folgenden Bilder –, dass der Prozess dieses malerischen Findens stets sichtbar bleibt. Pinselstriche reihen sich an- oder übereinander und lassen so im Verlauf des Malens das Bild entstehen. Keine Komposition wird vorgegeben oder vorab skizziert und auch keine Farbe wird mehr außerhalb der Bildfläche gemischt, also im Vorfeld vorbereitet: Das Malen erfolgt gänzlich erst auf der Leinwand, im Prozess entstehen Bild und Malerei zugleich – untrennbar miteinander verbunden.

Wenn im Spiel der Farbflächen das Bild entsteht, so zunächst in Negation der materiell vorhandenen Oberfläche. Die komplett bemalten Leinwände noch der 1990er Jahre vermeiden die Stofflichkeit des Trägermaterials. Die Farben setzen sich räumlich mit ihren jeweiligen Nachbarn auseinander, nicht aber mit der Bildfläche als eigentlichem Ort des Auftrags. Diese Auseinandersetzung wird in Jerry Zeniuks Malerei erst ab der Jahrtausendwende geführt. Die nun auf den Plan tretenden Flecken und Kreise formieren sich vereinzelt und zugleich in Korrespondenz zu einem – auch räumlichen – Beziehungsgeflecht, welches die Zwischenräume sichtbar bewahrt, betont und zugleich überwindet. Dieses Geflecht spannt sich über die Bildfläche, wie es auch in die immaterielle Tiefe des Bildraumes vordringt. Der sehende Betrachter folgt dabei durchaus dem handelnden Maler, der immer wieder aufs Neue zu entscheiden hat, welche Beziehung als nächste gestiftet werden kann. Innehalten und Vollziehen prägen den Rhythmus der Malerei von Jerry Zeniuk, im Akt des Malens, wie auch des Betrachtens. Ein ständiges Abwägen des Ganzen gegen seine Teile erfolgt zwangsläufig und hält das Auge in seinem Bann.

Diese Vorstellung, dass das Ereignis des Bildes vor allem innerhalb der Malerei, also im Vorgang des Malens, des Anschauens und Betrachtens vonstatten geht, unterscheidet Jerry Zeniuk schon in den späten 1960er Jahren von vielen seiner New Yorker Kollegen. Jene suchten – geprägt von Minimalismus und Konzeptkunst – danach, die Bildfläche in Beziehung zum Rahmen, zur Wand, zum Raum zu setzen. Das eigentliche Bild entstand nicht mehr auf der Leinwand, sondern im Kontext der es definierenden Parameter, die das Bild physisch, aber auch gedanklich verorteten. Zeniuk dagegen schloss sich geradezu ein in seine graphitfarbenen Oberflächen, die für ihn eine ungeheure Tiefe und Fülle bedeuteten, Fülle an Raum, aber auch an Farbe – gerade in deren subtiler Abwesenheit. Allerdings bedeutete diese Form der Malerei auch ein geduldiges Hinarbeiten auf diesen letzten Zustand, der sich erst am Ende des Malprozesses zeigt. Als letztes wird mit der komplett geschlossenen Bildfläche alles darunter liegende verdeckt, oder zumindest in der Tiefe verborgen, so dass nur mehr ein blasser Schimmer davon sichtbar bleibt.

Jerry Zeniuk ging es dabei, im Unterschied zu manchen Kollegen, nicht um die Oberfläche des Bildes als materielle Gegebenheit und Realität, sondern immer um die darauf in vielen Schichten aufgetragene Farbe und deren optische Wirkung. So sehr er die Arbeiten beispielsweise von Robert Ryman schätzt, so deutlich unterscheidet er sich doch gerade darin von diesem Maler. Und auch Brice Marden, der in den späten 1960er Jahren ebenfalls mittels Wachs und Graphit „verschlossene“ Bildoberflächen entwarf,  tat dies deutlich stärker im Bewusstsein eines Bildes als dinglichem Gegenstand, als farbigem oder auch nicht-farbigem Element auf der Wand, das sich mit ebendieser und deren Proportion auseinandersetzt. Jerry Zeniuk dagegen blieb mit seiner Malerei immer innerhalb des Rahmens, innerhalb der grundlegenden Tätigkeit des Auftrags von Farbe auf die Leinwand und den sich daraus ergebenden visuellen und – diese umgesetzt – auch tatsächlichen Bedingtheiten und Ergebnissen. Für ihn war immer wesentlich, aus dem Bild (und dessen direkter Wahrnehmung im Prozess des Malens) heraustreten und dieses von „außen“ betrachten und prüfen zu können. Das Bild selbst bleibt also für sich, geht keine feste Verbindung mit Wand und umgebendem Raum ein. Auch werden diese nicht auf die Bildfläche gespiegelt, finden also in der Form des Bildes keinen Widerhall.

In allen Varianten, ob monochrom, all-over oder kompositorisch-gestisch angelegt, bleibt die Malerei Jerry Zeniuks autonom, kommt ohne Verweise und Bezüge auf eine außerhalb des Bildes liegende Wirklichkeit aus. Das Bild selbst schafft sich seine eigene – und nur dort beständige – Welt. Die Kante der Leinwand, die der Fläche eine natürliche Grenze gibt, hält diese Welt zusammen. Auch wenn Jerry Zeniuk, gerade in seinen jüngsten Bildern der Farbe und deren Auftreten auf der Leinwand größtmögliche Freiheit gewährt, d. h. jede Farbe im Gefüge an jeder Stelle ihren Platz finden und damit dieses immer wieder aufs Neue sich erproben und verändern lässt, so geht kein Element, keine Farbe seiner Bilder eine dauerhafte Beziehung oder Bindung außerhalb des Bildes ein. Und obwohl der innere Zusammenhalt des Gemäldes damit absolut subjektiv ist, weil allein durch visuelle Erfahrung und Verständnis des Künstlers geprägt, so lässt sich die Erfahrung vor dem Bild insoweit objektivieren, dass der Betrachter in der Anschauung diesen Zusammenhalt auf eigenem Wege nachvollziehen kann. Nicht der Künstler legt eine Wahrheit ins Bild, die durch den Betrachter geschaut werden kann, sondern die Wahrheit als Existenz des Bildes zeigt sich beiden erst und ausschließlich im Zusammensehen der einzelnen Bildelemente. Das immer wieder aufs neue prüfbare und erfahrbare Zusammenspiel der Farben, lässt das Bild jeweils erst entstehen. Eine dahinter liegende Aussage gibt es nicht, das Wahrnehmen von Farbe und ihrer Bedingtheiten genügt. Denn dieses Wahrnehmen allein führt zu einer emotionalen Erfahrung, die für den Betrachter, wie schon für den Maler im Prozess der Gestaltung, als wesentliche Erfahrung vor dem Bild zum Tragen kommt.

Das Zusammenwirken einzelner Farbereignisse sichtbar zu machen und dabei immer wieder neue, unterschiedliche Beziehungen herstellen zu können, ist ein zentrales Anliegen der Malerei von Jerry Zeniuk. Indem er die Farben auf der Leinwand isoliert und zwischen ihnen einen „neutralen“ Raum schafft, der „überwunden“ werden muss, um die jeweilige Verbindung optisch nachvollziehen zu können, erhöht er einerseits die Spannung zwischen den einzelnen Farbfeldern, lässt aber zugleich, durch den Freiraum der leeren Leinwand, eine größtmögliche Freiheit im Suchen und Finden dieser Verbindungen zu. Dabei erweist sich die Bildfläche als Raum, in dem diese Beziehungen nicht ausschließlich in zwei Dimensionen zu denken sind.

Je größer dabei die Leinwand desto deutlicher wird die Spannung zwischen Fläche und Raum. Wo bei kleineren Bildern die spontane Übersicht eine Räumlichkeit des Beziehungsgeflechts evoziert, bieten die großen Leinwände sich, zumindest in der Nahsicht, zunächst als Fläche dar. Auch für den Maler selbst bedeutet dies ein ständiges Wechseln der Perspektive, zwischen Raum- und Übersicht einerseits und flächiger Nahsicht andererseits. Dies hilft ihm dabei, aus dem Bild, aus dem Akt des Malens selbst, herauszutreten und die Perspektive des Betrachtenden einzunehmen. Das Malen als ständiges Abwägen der Möglichkeiten und der daraus folgenden Konsequenzen findet in der tatsächlichen Bewegung des Künstlers vor dem Bild seine sichtbare Entsprechung.

Es kann daher nicht verwundern, dass Jerry Zeniuk wiederholt auf sehr große Formate zurückgegriffen hat. Bereits Mitte der 1990er Jahre gestaltete er für das Amtsgericht in München (1996) monumentale Leinwände. Einige Jahre später entstanden „Corner Painting“ (1999) und „Large Untitled/Bremen“ (2000).

2001 folgte mit der Ausstellung „Ein Bild entsteht“ in der Galerie der Stadt Mainz eine weitere Arbeit außerhalb der üblichen Dimensionen und diesmal wurde seine Auseinandersetzung mit dem Format, seine Arbeit als Maler selbst Gegenstand der Präsentation. Die Besucher konnten vor Ort verfolgen, wie der Künstler an der Leinwand arbeitete, wie das Bild entstand. Nicht nur im Nachvollzug, sondern auch im Prozess der Abwägungen und Setzungen konnten die Betrachter hier den Maler begleiten.

Auch 2013 machte er sich daran, eine Leinwand für einen Ort, zugleich aber auch an einem Ort, also vor Publikum entstehen zu lassen. Im Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten in München konnte Jerry Zeniuk bei der Arbeit beobachtet (diesmal sogar mittels Webcam) und anschließend auch aufgesucht und befragt werden. Das Gemälde entstand auch hier nicht in direkter Beziehung zum Ort, aber doch in Auseinandersetzung mit der Situation. Dabei sind es weniger formale Aspekte – die durchaus vom Ort des Geschehens abhängige Größe und das Format der Leinwand einmal ausgeklammert – durch die sich Ort, Situation und Bild verbinden lassen. Vielmehr scheint die farbige Gestimmtheit des Bildes einen Bezug auf den Ort zuzulassen. Gestimmtheit als Speicher einer Stimmung aus Farbe und Licht, die ihren einmaligen Ort und ihre flüchtige Zeit hat.

Jerry Zeniuks Malerei bleibt eigenständig, als Ausdruck eines Malers, der in erster Linie für sich selbst malt. Seine Bilder spiegeln Farbe und Licht und damit auch den Ort ihrer Entstehung. Ans Wohnzimmer hat er dabei wohl eher nicht gedacht.

 

Jerry Zeniuk

Paintings: Not for your living room

 


Kuratoren: Jörg Daur, Evelyn Bergner

 

 

Ausstellungsdauer

31 Jan – 27 Apr 2014

 

 

Begleitprogramm zur Ausstellung

 

Öffentliche Führungen

Sa 1 Feb         15:00 Uhr
Di 4 Feb          18:00 Uhr
Sa 8 Feb         15:00 Uhr

Kunstpause

Mi 19 Feb       12:15 Uhr

 

Offenes Atelier für Kinder und Familien in der Ausstellung Jerry Zeniuk
So 16 Mär       11:00 – 13:00 Uhr

 

Klangvisionen: Cello-Solokonzert mit Videokunst
Ernst Reijseger: Cello / Joost Guntennaar: Videoinstallationen
Di 8 Apr          19:00 Uhr

 

 

Öffnungszeiten

Di und Do 10 – 20 Uhr

Mi, Fr – So und an Feiertagen 10 – 17 Uhr

 

 

Eintritt
10,00 Euro

Ermäßigt 7,00 Euro

Ausstellungskatalog
Jerry Zeniuk

Paintings: Not for your living room

 

 

Service

Schwellenfreier Zugang über die Rampe auf der Rückseite des Gebäudes (Tel 0611 ⁄ 335 2250),

Induktionsanlage für Hörgeschädigte im Vortragssaal,

ausleihbare Rollstühle, Buggies und Sitzhocker im Foyer.

Museumsshop: Tel 0611 ⁄ 335 2251

 

 

Quelle: Museum Wiesbaden

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